#13 Badlands
Inzwischen haben wir das Gefühl, fest mit unseren Motorrädern verwachsen zu sein. Unsere Bikes sind zu unserem Zuhause geworden, zu unserer Adresse. Ein Tag, an dem wir nicht fahren, fühlt sich irgendwie unvollkommen an. Hinzu kommt, dass wir jegliches Zeitgefühl verloren haben. Wie spät ist es? Welcher Wochentag ist heute? Welches Datum schreiben wir heute? Es spielt keine Rolle. Wenn wir abends im Zelt liegen, müssen wir hin und wieder lange überlegen, bis uns einfällt, wo wir am Morgen aufgewacht sind. Wenn wir morgens die Augen aufmachen und gegen die grüne Zeltwand schauen, dauert es einen Moment, bis uns einfällt, an welchem Ort wir sind. Dann treten wir aus dem Zelt und können kaum glauben, was für einen schönen Platz wir wieder für unser Zelt gefunden haben.
Wir haben festgestellt, dass die optimale Reisetemperatur in einem Bereich von 23 bis 25°C liegt. Diese Komfortzone haben wir schon lange verlassen. Am 5. August erreichen wir den Badlands National Park und es wird von Minute zu Minute wärmer. Das Thermometer unseres Bordcomputers zeigt unglaublich heiße 38°C an. Unsere Füße, die in fast kniehohen, schwarzen, wasserdichten Gore-Tex-Stiefeln stecken, flehen uns um Erlösung an. Die Augen brennen, die Nase ist trocken und die Lippen rissig. Öffnen wir das Visier, fühlt es sich an, als hielte uns jemand einen Föhn ins Gesicht. Schließen wir das Visier, fühlt es sich an, als säßen wir in einer Sauna. Wir legen regelmäßig Fahrpausen ein, kommen mit dem Trinken aber trotzdem kaum hinterher. Wir haben die leise Ahnung, dass dies aber nur ein Vorgeschmack auf das ist, was uns in südlicheren Gegenden erwartet.
Und dann tauchen vor uns plötzlich diese gigantischen Canyons der Badlands auf. Sie sind durch Erosion entstanden, verändern und erweitern sich unaufhörlich und werfen dabei bizarre Felsformationen auf. Diese Landschaft ist so rau und so schön zugleich. Die tiefen Schluchten mit ihrem unnatürlich wirkenden Farbspiel beeindrucken uns sehr.
Oben auf dem Kamm eines Berges zu stehen oder durch eine enge Schlucht zu fahren, zeigt uns auf, wie klein wir sind und wie gewaltig die Natur ist. Eine lange, unasphaltierte Straße führt uns über eine Hochebene zu einem Platz, an dem es uns erlaubt ist, unser Zelt aufzuschlagen. Die einzigen, die etwas an unserer Anwesenheit auszusetzen haben, sind die uns umzingelnden Präriehunde. Nach anfänglichem Gemecker haben sie sich doch schnell an uns gewöhnt. In der Nacht werden wir von dem Geheule eines Kojotenrudels geweckt. Als wir am Morgen aus unserem Zelt schauen, sehen wir, wie ein Bison nur wenige Meter von unserem Zelt entfernt grast. Obwohl es das größte Landsäugetier Amerikas ist, kräftige Hörner hat und weit mehr wiegt als wir beide mit unseren vollgepackten Motorrädern zusammen, ist es vollkommen lautlos und friedlich.
Beeindruckende Momente wie dieser werden dadurch um ein Vielfaches verstärkt, dass wir jegliche Art von Komfort und Kontinuität aufgegeben haben. So zu reisen bedeutet Freiheit, ist aber auch mit Anstrengung und Entbehrungen verbunden.
Wenn wir das einhundertste Mal am Tag einen Reißverschluss öffnen und schließen…
Wenn Nina die Kreditkarte beim letzten Stop im Café vergessen hat und der letzte Stop 350km zurück liegt…
Wenn wir nach einem anstrengenden Fahrtag einfach nur ins Bett fallen möchten, vorher aber noch das Zelt im strömenden Regen aufbauen und die Isomatten aufpumpen müssen…
Wenn am Morgen die gnadenlose Sonne unser Zelt in eine Sauna verwandelt und wir um 7 Uhr schattensuchend mit verquollenen Augen aus dem Zelt kriechen…
Wenn es morgens so bitterlich kalt ist, dass wir uns nicht bewegen mögen, weil jede Bewegung bedeutet, dass irgendwo ein eiskalter Luftstrom in den Schlafsack kriecht…
Wenn wir glauben, wir hätten jede Körperstelle gegen Mücken geschützt und am nächsten Morgen mit 20 Mückenstichen an den Knöcheln aufwachen…
Wenn wir nachts im Schlafsack liegen und nur schnell zur Toilette gehen möchten…
Wenn wir morgens in labbriges Toastbrot beißen und dabei an das schöne Krustenbrot von Zuhause denken…
Im nächsten Moment beobachten wir einen unglaublich schönen Sonnenuntergang, treffen phantastische Menschen, begegnen wilden Tieren in der Natur oder gelangen über eine entlegene Schotterstraße mit unseren Motorrädern an einen wunderbaren Ort, der nur auf uns zwei gewartet hat. Sofort wissen wir wieder, wie gut wir es haben und wofür wir so manche Strapaze auf uns nehmen. Wir realisieren, dass die anstrengenden Momente die großartigen Erfahrungen umso wertvoller machen.