#14 Über Sturgis in den Yellowstone National Park
Wir verlassen die Badlands und fahren zum Black Hills National Forest. Je mehr wir uns diesem nähern, desto mehr bekommen wir eine ganz besondere Spezies zu Gesicht – Harley-Davidson-Fahrer. Auf unserer jetzigen Tour haben wir viele Harley-Fahrer getroffen, aber nirgends war die Dichte so hoch wie hier. An einer Tankstelle kommen wir mit einem harleyfahrenden Pärchen ins Gespräch. Es fragt uns, ob wir auch hier seien, um Sturgis zu besuchen. In diesem Moment geht uns ein Licht auf. Kann es denn wirklich sein, dass wir ausgerechnet dann in Sturgis sind, wenn die Kleinstadt South Dakotas wegen der weltberühmten Sturgis Motorcycle Rallye aus allen Nähten platzt? Tatsächlich – in dieser Woche findet in Sturgis eine der beiden größten Motorradveranstaltungen der Welt statt – welch Timing!
Wir wollen nur einen kurzen Tagesausflug durch die Black Hills machen, dabei einen schnellen Blick auf Mount Rushmore werfen und den in Stein verewigten Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln zuwinken. Von den Gedanken „kurz“ und „schnell“ müssen wir uns allerdings direkt wieder verabschieden, denn je näher wir den Black Hills und damit auch Sturgis kommen, desto voller werden die Straßen, die in dieser Woche alle nur nach Sturgis zu führen scheinen. Wir fühlen uns, als seien wir auf Ameisenstraßen unterwegs. Dicht an dicht schieben wir uns mit hunderttausenden von Harley-Fahrern langsam die kurvigen Waldwege entlang. Jeder, der keine Harley Davidson fährt, scheint in dieser Woche hier auf den Straßen nichts verloren zu haben. Über unser Helm-Kommunikationssystem sprechen wir darüber, ob wir tatsächlich unseren ursprünglich angedachten Kurs halten und durch Sturgis fahren oder einen Umweg in Kauf nehmen sollten, um dieser wahnsinnigen Massenveranstaltung zu entfliehen. Aber wie es immer so ist: Das, was scheinbar nicht für uns vorgesehen ist, macht uns besonders neugierig. Wir entscheiden uns, durch Sturgis zu fahren und hoffen, dass uns die Rocker verschonen und lebendig wieder ziehen lassen. Wir entdecken ein großes Ortsschild und wollen schnell ein Foto mit uns im Vordergrund schießen, um beweisen zu können, dass wir uns tatsächlich in die Höhle der Löwen gewagt haben. Während wir uns positionieren und mit dem Handy versuchen, ein Selfie zu schießen, kommt ein Riese mit Sonnenbrille, Lederweste und finsterem Gesicht auf uns zu. Er kommt näher und scheint uns und alles um uns herum mit seinem Schatten zu verdunkeln. Ohne seine Miene zu verändern bietet er uns an, ein Foto von uns zu schießen. Puh, die erste Annäherung an die fremde Spezies ist geglückt. Anschließend fahren wir durch die Partymeile. Wir blicken in ein Meer aus Chrom, nackter Haut und Lederfransen. Hier wirkt jede Person wie ein Ausstellungsstück. Die donnernden Motoren der uns umzingelnden Harleys lassen uns vollkommen lautlos erscheinen. Wir stellen unsere Bikes ab und schlendern durch die volle Main Street. Alle, mit denen wir ins Gespräch kommen, sind sehr freundlich und uns Außenseitern gegenüber sehr aufgeschlossen. Es wird viel Bier getrunken, gefeiert, den Stuntfahrern zugejubelt, sich gegenseitig bestaunt, und es werden zahlreiche bizarre Contests ausgetragen.
Sturgis war für uns ein Erlebnis. Froh, nicht aufgefressen worden zu sein, finden wir uns abends auf einem Campingplatz ein. Hier lernen wir Lanny kennen. Auch er hat mit seinem Stahlross Sturgis besucht. Er erweist sich schnell als unglaublich nett. Er erkundigt sich bei uns, wie wir die US-Amerikaner und Sturgis-Besucher wahrnehmen. Aus seinen Worten ist rauszuhören, dass es ihm am Herzen liegt, dass wir in seinem Land gut und freundlich aufgenommen werden. Wir können dies vollumfänglich bestätigen. Die Oberflächlichkeit, die den US-Amerikanern hin und wieder nachgesagt wird, können wir keinesfalls bestätigen. Oberflächlichkeit hört definitiv bei einem prallgefüllten Adressbuch mit privaten Übernachtungsangeboten auf. Und auch Lanny lädt uns ein, auf unserer Reise bei sich zuhause zu stoppen und Zeit mit ihm zu verbringen.
Der Besitzer unseres heutigen Campingplatzes verwickelt uns in ein hartes politisches Gefecht. Er ist sehr interessiert an unserer Sicht auf Merkel, Putin und die anderen einflussreichen Politiker unserer Zeit. Als wir ihn auf seine Meinung zu seinem jetzigen Präsidenten festnageln, erklärt er uns, dass Trump ein Geschäftsmann sei und sein Land, in dem viele Staatsangestellte arbeiten, wie ein Geschäft führe. Auch er als Campingplatzbetreiber sei ein Geschäftsmann und habe daher viele Parallelen zu Trump. Kurz darauf treffen wir Jeff aus Sacramento. Er fährt eine Reiseenduro wie wir und trägt ein T-Shirt, das den Satz „Ich entschuldige mich für unseren Präsidenten“ in ca. zehn verschiedenen Sprachen trägt. Es ist spannend, die unterschiedlichen Blickwinkel auf die US-amerikanische Politik von den Menschen vor Ort kennenzulernen und an der ein oder anderen Stelle einen provokanten Kommentar fallen zu lassen.
Nach dem Kulturschock in Sturgis fahren wir in Richtung des Yellowstone National Parks. Wir fahren das dritte Mal in eine andere Zeitzone. Wir haben uns damit insgesamt schon drei Stunden mehr Reisezeit verschafft. Da wir nun in ein von Bären genutztes Gebiet fahren, tun wir alles, um die Bären nicht anzulocken. Wir lagern keine Lebensmittel und keine Zahnpasta in unserem Zelt, parken die Motorräder mit unserer Lebensmittelkiste in ausreichender Entfernung zum Zelt, kochen und essen nicht in der Kleidung, in der wir schlafen – vorbildlich. Mike, den wir bei einer Kaffeepause in Buffalo kennenlernen, verrät uns seinen ultimativen Tipp, um nicht von Bären angefallen zu werden: „Be fast!“ Auch wenn wir seinen Tipp beherzigen wollen, besorgen wir uns zur Sicherheit Bearspray. Wahrscheinlich verhält es sich mit dem Bearspray so wie mit dem Regenschirm – wenn man den Regenschirm dabei hat, wird es mit Sicherheit nicht regnen.
Der Yellowstone National Park ist wunderschön. Wir erfreuen uns an der atemberaubenden Landschaft, beobachten Bisonherden und besuchen die Grand Prismatic Spring, die größte Thermalquelle der USA. Die satte orange, gelbe und grüne Farbe stammt von Mikroorganismen und sorgt mit dem klaren, blauen Wasser in der Mitte für ein faszinierendes Farbspiel.