#15 Von Waldbränden in Kanada und dem erbarmungslosen Alaska
Nun, da wir meisterlich darin geworden sind, die Geschwindigkeitsangaben auf den US-amerikanischen Straßen in Sekundenbruchteilen von Meilen auf Kilometer pro Stunde umzurechnen, verlassen wir die USA vorübergehend wieder. Der Grenzübergang nach Kanada gestaltet sich dieses Mal sehr unkompliziert. Während der Drogenspürhund an uns und unseren Motorrädern hochspringt, uns aber offensichtlich für unverdächtig hält, fragt uns der Grenzbeamte, ob dies unsere eigenen Motorräder seien und wir ihm zur Kontrolle die Kennzeichen sagen könnten. Selbstverständlich können wir ihm unsere Kennzeichen nennen. Dies reicht offenbar aus, um glaubwürdig zu machen, dass wir diese Bikes nicht gestohlen haben. Wir passieren die Grenze und nehmen Kurs auf das kanadische Calgary, wo wir unseren ersten Reifenwechsel durchführen wollen. Hier finden wir einen Motorradhändler, der unsere Reifen führt – leider nur den Hinterreifen. Den Vorderreifen hätte er nicht mehr auf Lager und eine Bestellung sei aufgrund des Saisonschlusses nicht mehr möglich. Nach gefühlt 100 Telefonaten finden wir in Fairbanks in Alaska einen Händler, der zwei Vorderreifen für uns vorrätig hat. Also entschließen wir uns, die letzten Millimeter unserer aktuellen Reifen auszunutzen und den neuen Hinterreifen aufs Heck zuschnallen, damit wir ihn für einen Reifenwechsel mit nach Fairbanks transportieren können.
Wie jeder Motorradhändler ist auch dieser in Calgary ein Treffpunkt für viele Menschen mit gleichen Hobbys und Interessen. Wir lernen unter anderem den chilenischen Angestellten Juan Lopez kennen. Er gibt uns unzählige Tipps für die Fahrt durch Mittel- und Südamerika. Wir kommen mit dem Mitschreiben kaum hinterher. Juan gibt uns seine Kontaktdaten und lädt uns zu sich nach Valparaíso in Chile ein, wo er ab Januar wieder wohnen wird. Wir können beim Weiterfahren nicht genau sagen, wieviele Stunden wir bei diesem Händler verbracht haben und mit wievielen Menschen wir ins Gespräch gekommen sind.
Auf der Straße sehen wir einen Transporter, der wie wir Reifen geladen hat – allerdings in etwas anderen Dimensionen. Wir kommen uns vor wie Zwerge.
Auf dem Weg nach Alaska wollen wir die wunderschöne Strecke durch die Rocky Mountains nehmen, die uns auch durch die traumhaften kanadischen Nationalparks Banff und Jasper führen wird. Je mehr wir uns diesen nähern, desto mehr merken wir allerdings, dass wir uns von unserem Plan und unserer Route verabschieden müssen. Es wüten Waldbrände in diesem Gebiet. Wir sehen von Weitem an verschiedenen Stellen die riesigen Rauchsäulen aufsteigen. Je nördlicher wir fahren, desto dichter und beißender wird der Qualm. Die Sichtweite nimmt ab. Die Sonne können wir zeitweise nur noch schemenhaft erkennen. Wie weit sind die Feuer tatsächlich entfernt? Es ist kaum einzuschätzen.
Als wir uns an einer Tankstelle bei einer Mitarbeiterin nach dem Ernst der Lage erkundigen, antwortet sie beleidigt, dass in British Colombia die riesigen Waldbrände wüten würden und dass die Menschen hier in Alberta die Leidtragenden seien, die den dichten Qualm ertragen müssten. Wir stellen fest, dass bereits einige Gebiete evakuiert wurden. Schweren Herzens entscheiden wir uns, die beiden Nationalparks östlich zu umfahren und uns in den nächsten Tagen in Windeseile durch das verqualmte Kanada nach Alaska durchzuschlagen.
Erst hinter Whitehorse wird die Luft schließlich wieder klarer. Wir können wieder tief durchatmen und die Sicht auf die wunderschöne Destruction Bay genießen. Die Sonne steht schon tief und der Wind wirbelt Sand in die Luft – ein märchenhafter Anblick. Ganz in der Nähe finden wir einen idyllischen Zeltplatz am See.
Am 21. August passieren wir die Grenze zu Alaska. Der Grenzbeamte warnt uns vor einer nahenden Regenfront. Dankbar für den Hinweis ziehen wir uns vor der Weiterfahrt schnell unsere wasserdichten Regensachen über. Die angekündigte Regenfront lässt nicht lange auf sich warten. Es wird immer dunkler und dunkler und schließlich beginnt es zu regnen. Es regnet so stark, dass es uns schwer fällt, den Verkehr durch das Rinnsal auf unserem Visier im Blick zu behalten. Gibt es eigentlich schon Motorradhelme mit Scheiben- bzw. Visierwischer? Die Temperaturen sinken abrupt auf nur noch 7°C. Es scheint so, als würde Alaska uns auf eine harte Probe stellen und prüfen, ob wir tatsächlich tough genug für den nördlichsten Bundesstaat der USA mit seinem subpolaren Klima sind. Unsere Regensachen sind wirklich gut und haben uns noch nie im Stich gelassen. Bei einer 400 km langen Fahrt im strömenden Dauerregen findet das eiskalte Nass allerdings erbarmungslos jede noch so kleine Lücke im Nacken, an den Händen oder an noch viel empfindlicheren Körperstellen. Als wir übermütig unsere Faust Richtung Himmel strecken und fragen, ob das bereits alles gewesen sei, antwortet Alaska mit Hagel. Wir müssen langsam fahren. Wir nehmen es mit Humor und heitern uns gegenseitig über unser Kommunikationssystem auf – bis die Akkus ausfallen. Eine warme Dusche und ein trockenes Bett würden jetzt die Erlösung bedeuten. Als wir schließlich nach einer 5-stündigen Fahrt über überschwemmte Straßen verspätet, vollkommen entnervt, aufgeweicht und ausgekühlt in Fairbanks ankommen, müssen wir feststellen, dass kein Motel, das in unserem Peissegment liegt, ein Zimmer für uns frei hat. Jeder Campingplatz hat zu dieser späten Uhrzeit bereits geschlossen. Wir können kaum glauben, dass so viel Nässe und Pech auf zwei Menschen zusammenkommen kann. In stockfinsterer Nacht finden wir schließlich einen Campingplatz, auf dem wir 20 Dollar in einen Umschlag legen und uns einen Zeltplatz suchen können. Zum Glück sitzt nach 5 Wochen auf dieser Reise jeder Handgriff. Ohne Absprache weiß jeder von uns, was zu tun ist, wenn wir einen Zeltplatz gefunden haben. Alles geht Hand in Hand – auch wenn die Hände vollkommen nass, kalt und steif sind. Als wir schließlich frierend in unseren Schlafsäcken liegen, schauen wir uns gegenseitig an und müssen laut lachen. Alaska hat wirklich alles daran gesetzt, uns zum Umkehren zu bewegen – aber uns hat es nicht klein gekriegt. Leicht von Alaska eingeschüchtert fragen wir aber lieber nicht erneut, ob das bereits alles gewesen sei.