#9 Rimouski in der Provinz Quebec – die Steigerung von Gastfreundschaft
Für das Tanken, den Einkauf, für ein kurzes Foto oder gar für das Halten an einer roten Ampel müssen wir erheblich mehr Zeit einplanen, als wir gedacht hatten. Mit unseren Motorrädern und den deutschen Kennzeichen erregen wir großes Interesse. Wir erleben die Kanadier als unfassbar gastfreundlich und aufgeschlossen, und so kommt es bei jeder noch so kurzen Gelegenheit zu tollen Begegnungen und angeregten Gesprächen. Auf unserer Route durch die Provinz Quebec erhalten wir so viele Einladungen mit Übernachtungsangeboten, dass wir überwältigt sind. In der kleinen Hafenstadt Percé angekommen, bewundern wir grade den gigantischen vom Festland abgespaltenen Kalksteinfelsen, Rocher Percé, da kommt plötzlich ein Kanadier mit begeistertem Gesicht auf uns zu. Wir sind nicht müde, von unserer Geschichte und unseren Plänen zu erzählen. Er gibt uns die Nummer seines Bruders Izzy, den wir wegen der vielen Gemeinsamkeiten unbedingt kontaktieren und treffen sollen – gesagt, getan. Und so kommt es, dass wir uns am Abend mit Izzy und seiner Freundin Audrey in einer rustikalen Bar im Herzen von Rimouski treffen. Aufgrund der Vielzahl von uns verbindenden Parallelen, gehen uns die Gesprächsthemen den ganzen Abend über nicht aus. Izzy ist ein Motorradreisender und fährt ebenso eine BMW F800GS, mit der er vor kurzem in Begleitung eines Freundes eine 13-monatige Reise unternommen hat, und dabei viele Länder und Gegenden bereist hat, die es für uns noch zu entdecken gilt. Es liegt auf der Hand, dass der Abend lang wird.
Wir können unser Glück kaum fassen, als Izzy uns einlädt, bei sich zu übernachten, um in den kommenden Tagen noch mehr über Gott und die Welt und das Motorradreisen zu philosophieren. Wir müssen nicht lange überlegen, ob wir dieses Angebot annehmen sollen.
In den nächsten Tagen werden wir fester Teil des Familienlebens. Izzys 16-köpfige Familie verbringt zurzeit ein paar freie Tage bei ihm und sorgt zusammen mit den beiden Hunden für eine heitere Stimmung.
Izzy bereitet uns zum Frühstück Omelett, Brot und Pancakes über dem Lagerfeuer zu. Audrey bringt uns dazu selbstgepflückte Kirschen, selbstgemachten Ahornsirup und frischen Kaffee. Wir sind permanent hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl „Wir haben es so verdammt gut und sollten jede einzelne Sekunde genießen“ einerseits, und dem Gefühl „Diese Gastfreundschaft ist nahezu beschämend, wie können wir uns bloß revanchieren?“ andererseits. Wir lernen, zu genießen.
Wir spielen mit den Hunden, spielen mit den Kindern, unternehmen einen Tagesausflug zum nahegelegenen Wasserfall, beobachten Hummingbirds im Garten, singen und essen abends am Lagerfeuer und fahren mit unseren drei Bikes über hügelige Waldwege und erkunden dabei nur einen kleinen Teil von dem Land, dass Izzy Seins nennen darf. Nach einer viertelstündigen Offroadfahrt erreichen wir einen See mitten im dichten Wald. Es ist ein so schöner Ort – so ruhig, so bezaubernd, so idyllisch.
Wir könnten ein ganzes Jahr hier verbringen, entscheiden uns am dritten Tag in Rimouski, am 29. Juli aber für die Weiterreise. Das schönste an dieser Reise scheint es zu sein, solch großartigen Menschen zu begegnen.